Die Bernerhöhe im Kanton Schwyz ist ein kleines Stück Naturgeschichte. Dass sie heute noch vom Bergsturz vor 200 Jahren zeugt, ist Erwin Hammer zu verdanken. EIN PORTRÄT VON MATTHIAS GRÄUB (TEXT) UND ADRIAN BAER (BILDER).
 
 

Der Perlenretter

Erwin Hammer geht voran über die wilde Weide. Das Gras ist hoch, der Boden abschüssig und gespickt mit Steinen, die an den Felssturz von 1806 erinnern. «Da, Sommervögel.» Hammer zeigt auf einen wuchernden Blumenbüschel, um den zwei weisse Schmetterlinge gaukeln. Fast kindlich erscheint die Freude im Gesicht des 67-Jährigen beim Anblick seiner «Perle», der Bernerhöhe zwischen Goldau und dem Lauerzersee im Kanton Schwyz.

 

Hammer zeigt nach unten, auf den kleinen, schilfbewachsenen Tümpel. «Alles weg», sagter immer wieder. All das wäre weg ohne ihn. Auf der Bernerhöhe war eine Deponie geplant, vor über zehn Jahren war das. Ohne seinen Einspruch, ohne seinen Kampf wäre die Landschaft heute so topfeben wie die Nachbarfelder, würde kein Klotz mehr hier herumliegen, um des Felssturzes zu gedenken, der damals die ganze Gegend verwüstet hatte. «Allesweg.» Hammer schüttelt den Kopf. «Da konnte ich nicht einfach zuschauen.»

 

Das Wäldchen war entscheidend

Ganz oben steht ein Wäldchen. Eigentlicheher ein Baumgrüppchen, aber offiziell doch als Wald deklariert. Und dieser Wald war es, der die Bernerhöhe letztlich rettete. Im Bauvorhaben stand nämlich nichts von diesem Wald, der – «einfach weg» – gerodet worden wäre, um der Deponie Platz zu machen. Dagegen erhob Hammer Einspruch. Erst ganz allein, später sammelte er Geld und rund 2500 Unterschriften gegen das Bauvorhaben. Blieb hartnäckig. Viele Jahre lang. «Die dachten, der Hammer hört dann schon auf», sagter heute. Stolz, nicht bitter. Denn der Hammer, der hörte nicht auf. Verklagte den ganzen Gemeinderat, um Zeit zu gewinnen. Pochte auf sein Recht, dass der Wald nicht gerodet werden dürfe. Und bekam es. Es wird keine Deponie auf der Bernerhöhe geben. Im Wäldchen oben steht der grösste Felsblock, ein Zehn-Meter-Trumm. Darauf wächst Moos, Efeu, sogar ein Baum hat es geschafft, irgendwie seine Wurzeln auf ihm zu schlagen. Und auf den Riesenklotz ist – wie auch immer– ein zweiter, kleinerer Felsblock zu liegen gekommen, in einer zweihundertjährigen, aber fragilen Balance.

 

«Immer, wenn ich Gefühlsschwankungen habe, denke ich an das Rotkehlchen.»

  Beinahe winzig wirkt Erwin Hammer inmitten der Bernerhöhe, seiner «Perle», die er im Alleingang vor der Zerstörung rettete.  

Hier oben ist Hammers Lieblingsplatz. «Jetzt darf ich ernten», sagt er, und meint das im übertragenen Sinn: Jetzt kann er seine Perle geniessen. Hoch oben steht er, in Khakishorts und Karohemd, schaut durch das lichte Geäst nach oben, von wo die Sonne seinen dünnen, fast weissen Haarschopf durchsichtig färbt. Winzig wirkt er jetzt auf dem Trumm, und doch ist ihm anzusehen, dass er «erntet».

 

Erwin Hammer trägt sein Herz auf der Zunge. Er redet viel, offenbart nach und nach, wie er es sich zu seiner Mission gemacht hat, die Bernerhöhe vor einer Verbauung zu bewahren. Wie er die Natur allmählich zu seiner Religion gemacht hat. Aufgewachsen ist er im Aargau, auf einem kleinen Bauernhof. «Mein Vater trug immer Sorge zu allem, pflegte den Hof und die Kühe gut.» Doch die paar Kühe und Hühner haben damals nicht ganz ausgereicht, um die Familie durchzubringen, der Vater musste zusätzlich arbeiten gehen. Hammers Bruder machte später die Landwirtschaftliche Schule, von ihm, dem Jüngsten, hiess es: «Der Erwin hat sowieso nicht gern Tiere.»

 

Hammer wurde Schlosser und Monteur, zog aber bald los und verbrachte zwei Jahre in Südafrika. Dort hat ihn die Apartheid tief getroffen, auf der Rückfahrt nordwärts querdurch den Kontinent hat es ihm die Natur angetan. «Wir haben Abende lang einfach nur gelauscht und kein Wort geredet», erinnert sich Hammer. Er erzählt von Dörfern im Sudan, von den Menschen dort und ihrem Leben. «Diese Einfachheit hat mich bis heute geprägt.» Nach seiner Rückkehr aus Afrika machte sich Hammer bald selbstständig – einzelne Aufträge als Handwerker nimmt er auch heute noch an, er lässt es aber ruhiger angehen. Zeit zum Ernten eben.

 

Ein kleiner Vogel als Prophet

 

Wer heute noch behauptete, Erwin Hammer möge keine Tiere, er würde ausgelacht. «Da,die Geisslein», zeigt er auf dem Rückweg vom Wäldchen. Ziegen grasen gerade auf der eingezäunten Weide. Er öffnet das Gatter und spaziert durch seinen Garten. Zucchetti und Gurken wuchern übers Hochbeet hinaus, das Gemüse gedeiht prächtig. Die Bernerhöhe ist Hammers Vorgarten.

 

Das Haus, das Hammer heute sein Eigen nennt, war lange das Objekt seiner Begierde. Nach der Trennung von seiner Ehefrau hauste er in einer winzigen Wohnung und fuhr jeden Tag an der Bernerhöhe vorbei. Schon da hatte es ihm die Perle angetan. Fünf Jahrelang hielt er es aus, dann kündigte er die Wohnung ins Blaue hinaus und schaute sich im Internet nach etwas Neuem um – prompt war das Haus zum Verkauf ausgeschrieben. Ergriff zu, obwohl er wusste, dass dort gebaut werden sollte. «Ursprünglich sollte die Deponie nur ganz unten entstehen», sagt er. Erst als er erfuhr, dass die ganze Wiese aufgeschüttet werden sollte, entschied er sich, dagegen vorzugehen.

 

Den Ausschlag, mit seinem Anliegen an die Öffentlichkeit zu gehen, gab ein Vogel. «Ein Rotkehlchen hat sich in meine Wohnung verflogen», erzählt Hammer. «Ich wollte es nehmen, da flog es mir direkt in die Hände.» Mit grossen Kulleraugen schaute der Vogel Hammer an, mit den Krallen scharrte er in seinen Handflächen. «Ich sehe das heute noch vor mir.» Er fragte sich damals: «Erwin, was will mir das sagen?» Die Antwort gab er sich selbst: «Hab Vertrauen.»

 

So ging er raus, kämpfte mit allen Mitteln für seine Bernerhöhe. Für die Natur, seine neue Religion. Inzwischen ist Hammer Quasi-Vegetarier. Ausnahmen mache er schon, aber: «Fleisch essen stimmt für mich einfach nicht mehr. Ich will Sorge zu den Tieren haben.» Und noch heute denkt er oft an seinen Propheten, das Rotkehlchen. «Immer, wenn ich Gefühlsschwankungen habe, denke ich daran zurück.»

 

Die Gemeinde lässt sich Zeit

 

Hammer führt um das Haus herum. Eine Steintreppe führt zur Terrasse, ein Gartenschlauch wird von der eigenen Quelle gespiesen. Heute spuckt er nur, Wasser ist grad knapp. Ein Betonrohbau soll mal als Kleintierstall dienen. Im Moment päppelt er darin zwei Igel auf. «Die kommen von der Auffangstation», sagt er. «Noch ein paar Tage, dann lasse ich sie laufen.» Nebenan hat er wilden Fenchel für die Schwalbenschwänze gepflanzt, ein Strauch zieht schwarmweise Wildbienen an.

 

Nur die Hausfassade trübt Hammers Naturidyll. Abgeblättert ist sie stellenweise, sogar nicht passend zum sonst so gepflegten Haus des Handwerkers. «Ich warte auf die Baubewilligung», sagt Hammer. «Die Gemeinde lässt sich natürlich jetzt Zeit.» Er sagt es ohne Ärger. Damit muss er nun wohl leben.

 

Für das Interesse und den Bericht möchte ich mich ganz herzlich bei Matthias Gräub, Adrian Baer und der Tierwelt bedanken.
Die Tierwelt lässt sich im übrigen auch abonnieren.
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